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Eine Frage des Respekts … und des Vertrauens

17. Juli 2006

Stellungnahme des Vorsitzenden des BDA Hessen Michael Schumacher zur Diskussion über den Neubau der Europäischen Zentralbank EZB in Frankfurt am Main

„Architektur muss brennen, muss feurig, glatt, hart, eckig, brutal, obszön, sie muss geil sein.“
So forderte es Coop Himmelb(l)au, das Architektenteam des Neubaus der Europäischen Zentralbank, in einem seiner Manifeste aus den 1970er Jahren. Damals wurde in dem Wiener Büro viel gedacht und wenig gebaut. Es entstanden wunderbare Architektur-experimente – schrill, intelligent, mitreißend. Der Kontrast zu dem biederen Architektur-alltag dieser Zeit konnte nicht größer sein. Doch unsere Zeit vereinnahmt schnell: was gestern als Provokation galt, gehört schon heute zum Establishment; was wie verzweifelt nach dem Sinn des Lebens und der Architektur fragte, wird heute ohne Umschweife in die Marketingstrategien der Unternehmen integriert; die Institution, die für die Stabilität unseres Geldes sorgen soll, schmückt sich mit den Rolling Stones der Architektur.

Was man persönlich davon halten soll, bleibt jedem überlassen. Für mich stellt sich allein die Frage ob dabei gute Architektur – oder sagen wir einfach: ein schönes Haus – herauskommt. Und ich denke, das wird letztendlich der Fall sein. Die neue Zentrale der Europäischen Zentralbank wird ein spannendes Gebäude werden, geometrisch komplex und räumlich interessant; für die Mitarbeiter wird es viel bieten und es wird ein qualitätvoller Blickfang in der Frankfurter Skyline sein. So weit so gut.

Schwierig wird die Angelegenheit immer, wenn ein vorhandenes Gebäude in das Ensemble miteinbezogen werden muss. Und dieses Gebäude, die 1926-28 von Martin Elsaesser gebaute Großmarkthalle, ist nicht irgendein Haus, sondern eine Ikone der modernen Architektur. Elsaessers Gebäude materialisiert die Vorstellung von Fortschritt der 1920er Jahre und entwickelt aus der Funktion und der Konstruktion heraus eine neue, eine moderne Formensprache. Neben Peter Behrens‘ Bau für die Farbwerke Hoechst und Poelzigs IG Farben gehört die Großmarkthalle zu den bedeutendsten Realisierungen der Weimarer Republik.

Es stellt sich also die Frage, wie weit man dieses Meisterwerk im Zuge seiner Umnutzung verändern darf. Ab wann verletzt man die Großmarkthalle durch den Umbau eher, als man ihren Erhalt sichert? Über diese Frage wird in diesen Tagen viel gestritten – obwohl die Grundlage für eine solche Debatte eigentlich fehlt. Denn die Diskussion erfolgt auf der Grundlage eines längst überholten Planungsstandes. Der aktuelle Stand der Planungen ist leider nicht bekannt. Dass die EZB ihn nicht veröffentlicht, trägt eher dazu bei, die Spekulationen zu schüren. Deshalb kann auch ich mir keine seriöse Meinung darüber bilden, wie sensibel Coop Himmelb(l)au die Gratwanderung zwischen Alt und Neu gestaltet.

Manche befürchten, die Architekten könnten aus Ihrer Planungsphilosophie heraus zu ruppig mit dem Bestand umgehen. Sobald der aktuelle Stand der Planungen bekannt ist, werden wir das wissen. Dann wird zu prüfen sein, ob der Charakter der Großmarkthalle erhalten geblieben ist, ob es diesen kraftvollen, riesigen Wetterschutz noch gibt, mit seinen guten Proportionen und seiner für die damalige Zeit minimierten Konstruktion. Sicherlich wäre es wünschenswert, wenn auch die angrenzenden Nebengebäude erhalten werden könnten, denn sie verdeutlichen durch ihre relative Kleinheit, wie gewaltig der Hauptbaukörper eigentlich ist. Aber das eigentlich Wichtige ist die große Halle. Das neue Ensemble von Halle und EZB-Hochhaus wird – wie schon die Großmarkthalle – ein Solitär bleiben, sich also nicht in die städtebauliche Struktur einbinden lassen, und das ist auch richtig so.

Coop Himmelb(l)au hat in Wien Bauvorhaben realisiert, bei denen vorhandene Gebäude mit ihrer „brennenden, brutalen und geilen“ Architektur gepaart werden, und dabei ist es zu einem sehr spannenden und interessanten Miteinander gekommen. Aber Frankfurt ist nicht Wien, wir haben nur wenig alte Bausubstanz und sollten die guten Gebäude der Moderne wie unseren Augapfel hüten.

Als einer der Teilnehmer an dem Architektenwettbewerb weiß ich, dass es nicht leicht ist, die Halle für die Zwecke der EZB umzunutzen. Aber ich sehe auch keinen Grund, ängstlich zu sein. Durch die EZB haben wir in Frankfurt die Chance, ein Bauwerk zu erhalten, das Ausdruck des beginnenden 21. Jahrhunderts ist und das zugleich das großartige Erbe des 20. Jahrhunderts integriert. Dafür muss das Alte respektvoll behandelt und zugleich dem Neuen Vertrauen entgegengebracht werden.

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