Preisträger BDA Studienpreis des BDA Hessen 2023

Anerkennung: Vanessa Klassen

Anerkennung: Vanessa Klassen

„SOLVE ET COAGULA – ARCHITEKTUR IN NEUER BEDEUTUNG – ein ikonographischer Schulbau in Rom“

Verfasser*in: Vanessa Klassen
Hochschule: Hochschule RheinMain, Fakultät für Architektur / Bauen mit Bestand, Master of Science
Betreuung: Prof. Dipl.-Ing. Karin Damrau, Prof. Dipl.-Ing. Joachim B. Kieferle, Prof. Dipl.-Ing. Volker Kleinekort
Master-Abschlussarbeit – Sommersemester 2022

Das ehemalige „La Casa della GIL“ im Stadtteil Montesacro in Rom gehörte zur ehemaligen Gartenstadt Aniene und war Teil des intensiven Bauprogramms der Gioventú Italiana del Littorio (GIL), die das Ziel verfolgte, die italienische Jugend in faschistischer Gesinnung zu künftigen Soldaten auszubilden. Sie wurde in den 1920er Jahren von Gaetano Minnucci entworfen, Mitte der 1930er Jahre gebaut und in den 1940er Jahren von ihm erweitert. Der Gebäudekomplex wurde nach dem Zweiten Weltkrieg aufgegeben und in den 1970er Jahren von Eltern und Schülern besetzt. Inzwischen befinden sich in der nördlichen Hälfte des Geländes der Montessori-Kindergarten sowie eine Grund- und eine weiterführende Schule, so dass bereits ein Bedeutungswandel vom Massenkonsens und der indoktrinierten Meinung des Regimes hin zur freien Entfaltung, Meinungsäußerung und Individualität der jungen Menschen stattgefunden hat. Das Leitmotiv des Entwurfs ist „ein lebendiges Haus statt eines toten Denkmals“. Trotzdem soll der Gebäudekomplex größtenteils erhalten bleiben. Auch wenn die ursprüngliche Nutzung des Gebäudes auf eine faschistische Ideologie zurückgeht, so handelt es sich doch um kulturelles Erbe und besitzt sowohl architektonische als auch historische Denkmalwerte. Sei es die Turnhalle, die damals die größte in Italien war, oder der architektonische Stil des Rationalismus, der seinen Hauptwert in Proportionen, Geometrie und Detailgenauigkeit findet. Die neue Ästhetik liegt in ihrer Morbidität und ihrem Verfall. Um die 1930er Jahre als Reminiszenz noch spürbar zu machen, aber auch um spätere Prägungen zu bewahren, entsteht eine Art Palimpsest als Zeitstrahl- vom ursprünglichen Symbol des Faschismus bis hin zur Erinnerung an seinen Widerstand.

Die Zugänge auf dem Grundstück werden transformiert, um Funktionsbereiche voneinander zu trennen und in private und öffentliche Räume zu unterteilen. Für die Schüler wird ein neuer Zugang in nördlicher Richtung geschaffen, um einen sicheren abgetrennten Pausenhof zu schaffen. Unter die unbebaute Grundstücksfläche in südöstlicher Richtung wird eine Tiefgarage eingefügt, um so benötigte Parkflächen im Quartier zu schaffen. Auch werden nun die Dachflächen genutzt: Im Osten wird der Spielhof der Kita auf die Dachterrasse verlegt und im Westen befindet sich eine Multisportanlage auf der Dachfläche der Turnhalle. Der Ballfangzaun ist von der Viale Adriatico aus direkt zu sehen und soll dem Stadtviertel prominent zeigen, dass nun neue Aktivitäten im Gebäudekomplex stattfinden. Das “Gym” erfährt eine Mehrfachnutzung. Während des Schulbetriebes bleibt die Sporthalle natürlich den Schülern erhalten, aber sie kann außerschulisch von verschiedenen Interessengruppen genutzt werden, um das Gebiet zu beleben. Im Wechselspiel von Alt und Neu wird auch das Kontrastspiel des Gebäudekomplexes aufgegriffen. Die verschiedenen Höhenniveaus werden nicht nur bewahrt, sondern fortgesetzt. Eine große Freitreppe mit Sitzstufen schafft eine öffentliche Durchwegung durch das Grundstück und auch den ehemaligen Pool-Anlagen wird eine neue Bedeutung gegeben. Der „Raum des Wissens“ vermittelt einen Bildungsauftrag mit einer Bibliothek, die von Studenten und der Gemeinde genutzt werden kann. Der ehemalige Indoor-Pool wird in eine Sitztreppe umgewandelt, die
Bücherregale sind im Bestandsgebäude angeordnet. Die Bibliothek wird um einen Lesesaal erweitert, der sich in den neuen öffentlichen Park des Stadtviertels schiebt. Es entsteht eine multifunktional bespielbare Fläche, die der Gemeinde zur freien Verfügung steht und einen Mehrwert schafft. Die Idee der Gartenstadt Aniene wird aufgegriffen und weitergeführt, um einen Ort der Ruhe und Gelassenheit zu schaffen. Sonnenlicht, frische Luft und die Umgebung sollen sich im Gebäude ausbreiten.

An der Ostseite befand sich einst die hochwertigste Fassade, mittlerweile ist sie als bedeutungslose Gebäuderückseite ausgebildet. Durch die neuen öffentlichen Nutzungen wird sie wieder zum Zentrum und Aufenthaltsort. Über der Bibliothek befindet sich ein öffentlich zugängliches Dokumentationszentrum mit einer Dauerausstellung zur Vergangenheitsbewältigung. Besucher, die von der Hauptstraße „Viale Adriatico” aus das Gebäude betreten, wandern durch das prägende Minnucci-Motiv des schwebenden Bügels, vorbei an den Abdrücken der faschistischen Parolen, hinein in das Dokumentationszentrum und werden mit der Geschichte konfrontiert. Ein Gemeindezentrum oder auch Jugendtreff bieten Raum für Austausch und Dialog. Die Außenpool-Anlage wird zur einer überdachten Veranstaltungsfläche ausgebildet. Die Freilichtbühne “Raum der Künste und Kommunikation” vermittelt einen kulturellen Auftrag: Kunst, Musik, Literatur und auch Stadtpolitik werden hier präsentiert. Es entsteht in Anlehnung an das ehemalige Theater im Bestandskomplex. Die neuinterpretierte Überdachung der Veranstaltungsfläche soll an die ehemaligen Poolanlagen erinnern. Das Sprungbrett der Außenpool-Anlage wird in den Park versetzt und zu einer Art “speakers’ corner” umgenutzt. Es setzt ein Statement gegen den faschistischen Ursprung dieses Gebäudekomplexes, indem statt Gemeinschaftskonsens und Unterdrückung der freien Meinung hier nun den Menschen eine Plattform zum Austausch von Ideen und Gedanken geboten wird.

Es geht nicht um eine fertige, „schöne“ Gestaltung. Es geht um Prozesshaftigkeit, eine Kultur des Weiterbauens und darum Möglichkeiten zur Weiterentwicklung durch ein nachhaltiges Nutzungskonzept zu schaffen. Wir haben Teil an einer Evolution des Gebäudes, welche wohl nie abgeschlossen sein wird. Das bedeutet, dass verlorene Flächen mit neuen Nutzungen versehen werden, sei es temporär oder weitsichtig. Die Entwicklung des Ex-GIL-Komplexes liegt in den Händen seiner zukünftigen Nutzer, die die multifunktionalen Flächen oder den Veranstaltungsbereich selbst ausfüllen und gestalten können. Diese Mitbestimmung führt zu einer stärkeren Identifikation und Partizipation der Bewohner mit dem Ort und dies wiederum führt zu einer größeren Sorgfalt, Achtsamkeit und Respekt im Umgang mit dem Ort. SOLVE ET COAGULA- bestehende Zusammenhänge werden aufgelöst und neu verknüpft. Es findet hier ein räumlicher und gedanklicher Bedeutungswandel statt und eine unproblematische Folgenutzung kann entstehen, da die Vergangenheit und die ursprüngliche Funktion aufgearbeitet und nicht vergessen, sondern in die Zukunft überführt würden.

 

Preisträger

BDA Studienpreis des BDA Hessen 2023 – BDA Wiesbaden

Die BDA Gruppe Wiesbaden lobte 2023 zum fünften Mal den BDA Studienpreis an der HSRM Hochschule RheinMain aus. Zur Auswahl standen viele, unterschiedliche Beiträge, da Studierende aller Semester Arbeiten der letzten drei Jahren einreichen konnten. Die Jury entschied sich einen Preis, zwei Anerkennung und eine Lobende Erwähnung zu vergeben.

Broschüre BDA-Studienpreis Wiesbaden PDF  → Wettbewerbsmodus: alle Semesterarbeiten.

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